PETER HANDKE: WIEDERHOLUNG (exc.)
Das Träumen ging erst weiter, als hinter der Theke, in der trüben Beleuchtung, die
Kellnerin erschien, mit einem schattigen Gesicht, in dem das Deutliche nur die sch
beim Geradeausschauen fast augenbedeckenden Lider waren. In Betrachten dieser
Lider bewegte sich unversehens, gespenstisch leibhaftig, die Mutter
stellte die Gläser ins Waschbecken, spießte einen Kassenzettel aul, wischte über das
Messing. Namenloses Erschrecken, als mich momentlang ihr Blick traf, spöntisch
nicht zu durchdringen; Erschrecken, das eher ein Ruck war, cin Entricken in eince
größeren Traum. In diesem war die Kranke wieder gesund geworden. Springleben
dig durchmaß sie, verkleidet als Kellnerin, die verzweigte Gaststätte, und aus den
hohen, hinten offenen Kellnerinnenschuhen leuchteten ihre runden weißen Fersen
Was für stämmige Beine die Mutter bekommen hatte, was für einen Huftschwang
was für einen Haarturm. Und obwohl sie doch, anders als die Mehrzahl der Frauen
im Dorf, nur ein paar Wörter des Slowenischen konnte, sprach sie es hier, in der Us
terhaltung mit einer unsichtbaren Männergesellschaft in der Nachbarnische, ganz
selbstversändlich, fast herrisch. Sie war also nicht das Findelkind, der Flüchtling, die
Deutsche, die Ausländerin, als die sie sich immer ausgegeben hatte. Kurz schimte
sich der Zwanzigjährige, daß diese Person mit den bestimmten Bewegungen, dem
Singsang, dem lauten Lachen, den schnellen Blicken seine Mutter sein sollte, and
sah diese dann, an der fremden Frau, so genau wie noch nie: Ja, auch die Mutter hat
te bis vor kurzem mit einer solchen Singstimme gesprochen, und soft sie anschlich
zu singen anfing, wollte der Sohn sich die Ohren zuhalten. Aus jedem noch so gro
Ben Chor war sofort die Mutterstimme herauszuhören: ein Zittern, ein Beben, ein
inbrünstiger Schall, von dem die Sängerin, im Gegensatz zu dem Lauscher, vollkom
men ergriffen war. Und ihr Lachen war nicht nur laut gewesen, sondern geradezu
wild, ein Geschrei, ein Ausbruch, der Freude, des Zorns, der Bitterkeit, der Verach
tung, ja des Rechtsprechens. Noch in den Anfangsschmerzen der Krankheit klangen
die entsprechenden Schreie wie ein überraschtes, halb belustigtes, halb emportes
Auflachen, das sie, mit der Zeit immer hilfloser, wegzuspielen versuchte mit ihren
Gesangstrillern. Ich stellte mir die verschiedenen Stimmen in unserem Haus vor und
hörte den Vater fluchen, die Schwester kichernd und weinend Selbstgespräche mar
meln, und die Mutter von einem Dorfende zum anderen lachen und Rinkenbergist
ein langes Dorf. (Mich selbst sah ich in der Vorstellung stumm sein.) So erkannte
ich, daß die Mutter nicht nur herrisch auftrat wie jetzt die Kellnerin, sondern hem
scherlich. Immer hatte sie einen mächtigen Gasthof führen wollen, mit den Be
diensteten als ihren Untertanen. Unser Anwesen war klein, und ihr Anspruch war
groß: In ihren Erzählungen von meinem Bruder trat dieser auf als der um seinen
Thron betrogene König.
Und ich galt bei ihr als der rechtmäsige Thronfolger. Und zugleich bezweifelte s
von Anfang an, daß ich es schaffen würde. Ihr Blick auf mir erstarrte manchmal in o
her von jemandem beschrieben worden, einem Priester, einem Lehrer, einem Mad
nem Mitleid, das ohne einen Schimmer Erbarmen war. Immer wieder war ich ja bis
chen, einem Schulfreund; doch von jenen stummen Blicken der Mutter fühlte ich
mich in einer Weise beschrieben, daß ich mich davon nicht bloß erkannt, sonder
verurteilt sah.
Source: Vilenica Almanac 87